Seit dem Jahr 2020 ebnet die Europäische Kommission gezielt den Weg zur Digitalisierung des Finanzmarkts in der EU. Mit ihrem „Digital Finance Package“ verfolgt sie das Ziel, Innovationen und die Einführung neuer Finanztechnologien zu fördern. Gleichzeitig sollen Risiken für Verbraucher:innen und Institutionen sowie die Stabilität der Märkte – auch der digitalen – immer im Blick behalten werden.
Eine der drei Säulen des Pakets zum digitalen Finanzwesen stellt das sog. „DLT-Pilot Regime“ dar. Hierbei handelt es sich um eine Pilotregelung für auf der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) basierende Marktinfrastrukturen. Die entsprechende europäische Verordnung wurde am 2. Juni 2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und findet abxf dem 23. März 2023 Anwendung. Die Geltungsdauer beträgt zunächst drei Jahre mit einer Verlängerungsoption um weitere drei Jahre.
Das DLT-Pilot Regime schafft einen vereinfachten Aufsichtsrahmen für Wertpapierfirmen, Marktbetreiber und Zentralverwahrer, die am regulierten Markt den Handel und die Abwicklung tokenisierter Wertpapiere betreiben wollen. Der Handel und die Abwicklung von Security Token (tokenisierte Vermögensanlagen als programmierbare Assets) an geregelten Märkten in der EU soll praktisch möglich sein und das auch noch effizient, günstig und schnell. Durch eine sog. Regulatory Sandbox schafft die EU für einen begrenzten Zeitraum dabei die Möglichkeit des dezentralen Handels von insbesondere Krypto-Wertpapieren auf dem Sekundärmarkt und geht damit einen weiteren grundlegenden Schritt hin zur Digitalisierung des europäischen Kapitalmarkts. Mit dem Distributed-Ledger-Technologie Pilot Regime wird es nunmehr möglich sein, DLT-Use Cases in einem sicheren regulatorischen Umfeld und mithilfe des EU-Passportings über Landesgrenzen hinweg europaweit umzusetzen.
Welche praxisrelevanten Regelungen das DLT-Pilot Regime im Detail enthält und ob hiermit eine goldene Zukunft für den digitalen Kapitalmarkt eingeleitet wird, soll dieser Beitrag im Folgenden beleuchten.
DLT-Marktinfrastrukturen – eine Regulatory Sandbox
In Deutschland sind zwar durch das eWPG und die KryptoFAV und das Kreditwesen- und Depotgesetz die Emission und Verwahrung von DLT-basierten Wertpapieren bereits reguliert, nicht aber deren Handel und Abwicklung. Diese Lücke soll durch das DLT-Pilot Regime geschlossen und eine einheitliche Regelung in der EU geschaffen werden. Das DLT-Pilot Regime ebnet somit den Weg für eine europaweit regulierte dezentrale Kapitalmarktinfrastruktur.
DLT-Pilot Regime ein Deep Dive
i) Bisher nur eingeschränkter Handel mit Security Token
Warum war der Handel mit Security Token an regulierten zentralen Märkten bisher nur eingeschränkt möglich?
Zum Handel an geregelten Märkten muss ein Wertpapier in das Effektengiro eines Zentralverwahrers eingebucht werden. Der Zentralverwahrer (bspw. in Deutschland die Clearstream Banking Frankfurt – CBF) ist eine Wertpapiersammelbank, sog. Central Securities Depository – CSD, und übernimmt die Dokumentation von Transaktionen und Verwahrung der Wertpapiere in Wertpapierdepots, klassischerweise in Form einer Wertpapierurkunde. Diese Zuständigkeiten sind zentral dieser Stelle und nicht den einzelnen Marktteilnehmern auferlegt. Eine Abbildung als rein digitaler Token war somit bisher nicht vorgesehen. Insoweit als bei tokenisierten Wertpapieren einerseits keine Urkunde, sondern nur eine Anzahl an Token vorliegt, deren Übertragung und Verwahrung durch die jeweiligen Inhaber:innen selbst möglich ist und andererseits auch die Übertragung in kurzer Zeit erfolgen kann, sind Security Token nicht praktikabel für das traditionelle System mit Intermediären. Auf der DLT basierende Finanzinstrumente werden über dezentrale Infrastrukturen abgebildet, indem sie als Security Token auf der Blockchain abgespeichert werden. Die Token können in der Folge über sog. Smart Contracts abgebildet und begeben werden. Die Besonderheiten von Security Token und damit verbundenen Technologien fanden im europäischen Kapitalmarktaufsichtsrecht somit bisher keine Berücksichtigung und ein multilateraler Handel dezentral emittierter und abgewickelter Wertpapiere über eine Blockchain war nicht umsetzbar.
Durch das DLT-Pilot Regime können die Zuständigkeiten von Marktteilnehmer:innen und Zentralverwahrern unter gewissen Voraussetzungen vereint werden, um eine Praktikabilität des Handels und der Abwicklung von Security Token am regulierten Markt zu erzielen. Es wird also eine Ausnahme vom Trennungsgebot zwischen dem Handel (Trading) einerseits und andererseits der Abwicklung und Verwahrung (Settlement & Custody) geschaffen, dies durch einen kombinierten Dienstleister. Die Transaktion kann dezentral auf einem sog. Distributed Ledger ohne den Zentralverwahrer und andere Intermediäre erfolgen.
Es gibt durch die Regulierung einerseits Erleichterungen der MiFID-Meldepflichten und Anforderungen der CSDR für die DLT-Akteur:innen, die an eine besondere Genehmigung der dafür national zuständigen Behörde (in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin), geknüpft sind. Andererseits werden im Gegenzug dabei aber auch zusätzliche Anforderungen festgelegt, welche diese DLT-Akteur:innen erfüllen müssen.
ii) Für welche Finanzinstrumente gilt das DLT-Pilot Regime?
Das DLT-Pilot Regime gilt für solche Wertpapiere und Kryptowerte, die Finanzinstrumente im Sinne der Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II-Richtlinie) sind, wie Aktien, Anleihen oder auch OGAW-Fonds. Hierbei findet die folgende Einschränkung des Anwendungsbereichs nach Wert statt:
weniger als 500 Mio. EUR Marktkapitalisierung des Emittenten bei Aktien, sog. Small Caps;
weniger als 1 Mrd. EUR Emissionsvolumen bei Anleihen o.a. verbriefter Schuldtitel (ausgenommen Unternehmensanleihen mit einer Marktkapitalisierung des Emittenten von unter 200 Mio. EUR);
weniger als 500 Mio. EUR Marktwert des verwalteten Vermögens bei offenen Fonds (OGAW).
Sobald der Gesamtmarktwert aller DLT-Finanzinstrumente, die auf einer DLT-Marktinfrastruktur gehandelt oder in einer solchen verbucht werden, 6 Mrd. EUR übersteigt, greift eine Annahmegrenze zusätzlicher DLT-Finanzinstrumente zum Handel bzw. zur erstmaligen Verbuchung. Überschreitet der Gesamtmarktwert aller DLT-Finanzinstrumente, die auf einer Distributed-Ledger-Technologie Marktinfrastruktur gehandelt oder in einer solchen verbucht werden, 9 Mrd. EUR, muss der Anbieter eine Übergangsstrategie umsetzen. Hierbei kann es sich um die Einschränkung der Tätigkeit einer bestimmten DLT-Marktinfrastruktur, den Ausstieg aus einer bestimmten DLT-Marktinfrastruktur oder die Einstellung ihres Betriebs handeln.
Nicht erfasst vom DLT-Pilot Regime sind jedoch Kryptowährungen wie Bitcoin (BTC) oder Ether (ETH).
iii) Für welche Marktteilnehmer: innen gilt das DLT-Pilot Regime? – drei neue Erlaubnistatbestände
In erster Linie richtet sich das DLT-Pilot Regime an Wertpapierfirmen, Marktbetreiber und Zentralverwahrer, somit an etablierte Marktteilnehmer:innen, die im Rahmen der besonderen Genehmigung als DLT-Marktinfrastruktur von regulatorischen Erleichterungen bzgl. MiFID II und CSRD-Anforderungen profitieren können. Allerdings können auch neue Marktteilnehmer:innen und Unternehmen, die nicht bereits als Zentralverwahrer oder Wertpapierfirmen reguliert sind (z.B. FinTechs), die besondere Genehmigung zum Handel und der Abwicklung unter dem DLT-Pilot Regime beantragen. Bei diesen prüft die BaFin, ob die Marktinfrastruktur im Einklang mit dem DLT-Pilot Regime betrieben wird und nicht, ob die Anforderungen für Zentralverwahrer oder Wertpapierfirmen erfüllt sind. Es gelten also auch Erleichterungen zum Markteinstieg für neue Marktteilnehmer:innen.
Das DLT-Pilot Regime unterteilt Marktteilnehmer:innen in drei Marktinfrastrukturen als Erlaubnistatbestände:
- DLT-MTF: Multilateral Trading Facility – multilaterales Handelssysteme, welche den Handel von DLT-Finanzinstrumenten erlauben, von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betrieben werden, gem. MiFID II zugelassen sind und eine besondere Genehmigung zum Betrieb eines DLT-MTF erhalten haben. Als DLT-MTF zugelassene Firmen können von regulatorischen Erleichterungen, beispielsweise in Bezug auf das Transaktionsreporting, profitieren.
- DLT-SS: Settlement System – DLT-Abwicklungssysteme, die von einem zugelassenen Zentralverwahrer betrieben werden und eine besondere Genehmigung zum Betrieb eines DLT-SS erhalten haben. Als DLT-SS zugelassenen Systemen kommen regulatorische Erleichterungen, wie beispielsweise eine Ausnahme zu den Vorschriften der CSDR über den Barausgleich, zugute.
- DLT-TSS: Trading and Settlement System – DLT-Handels- und Abwicklungssysteme. Diese gibt es in zwei Kombinationsversionen. Entweder handelt es sich um einen DLT-MTF, der die Dienstleistung eines DLT-MTF und DLT-SS kombiniert, von einer Wertpapierfirma oder einem Marktbetreiber betrieben wird und eine besondere Genehmigung für den Betrieb des DLT-TSS erhalten hat. Alternativ handelt es sich um einen DLT-SS, der die Dienstleistung eines DLT-MTF und DLT-SS kombiniert, von einem Zentralverwahrer betrieben wird und eine besondere Genehmigung für den Betrieb des DLT-TSS erhalten hat. Betreiber:innen eines DLT-TSS können von denselben Ausnahmen profitieren, wie auch die DLT-MTF oder DLT-SS Betreiber:innen, soweit die Voraussetzungen erfüllt sind.
Das kann grafisch folgendermaßen dargestellt werden:
Wie ersichtlich, besteht die Möglichkeit die Zuständigkeiten und Dienstleistungen von Marktteilnehmer:innen und Zentralverwahrer:innen zu vereinen, sodass keine Intermediäre benötigt werden, sog. Desintermediation.
iv) Regulatory Sandbox
Durch die verhältnismäßig kurze Anwendungszeit von maximal sechs Jahren, die Volumenbegrenzung und die nachträgliche Anpassungsmöglichkeit durch die Aufsicht, soll eine Testumgebung einer dezentralen Kapitalmarktinfrastruktur für den Markt, die Marktteilnehmer:innen, Regulatoren und Aufsichtsbehörden geschaffen werden, eine sog. Regulatory Sandbox. Konzeptionell ist diese ein Konstrukt, dass sich an einer Art Prüfungsphase anlehnt und die Markterprobung und nachträgliche Geschäftsanpassung ermöglicht. Die Regulatory Sandbox kann somit als Art kapitalmarktrechtlicher Spielplatz eingeordnet werden.
v) Zusätzliche Anforderungen für den Erhalt der besonderen Genehmigung
Zur Erlangung der besonderen Genehmigung durch die BaFin als Aufsichtsbehörde zum Betreiben einer DLT-Marktinfrastruktur ist die Einhaltung von zusätzlichen organisatorischen Anforderungen, als Ausgleich für die Erleichterungen, erforderlich. Jene sollen einen engen Austausch zwischen der European Securities and Markets Authority (ESMA), den zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden und den DLT-Marktinfrastrukturen sicherstellen und Risiken im Rahmen der Nutzung von Distributed-Ledger-Technologie adressieren.
Neben einem detaillierten Geschäftsplan und einer Übergangsstrategie, handelt es sich hierbei um eine breite Palette von organisatorischen Anforderungen, die DLT-Marktinfrastrukturen erfüllen müssen (von Transparenz-, Dokumentations-, Kundeninformations-, Vermögensschutzpflichten bis hin zu Sicherheitspflichten im Hinblick auf operationelle und IT-/Cyber-Risiken). Die Art und Weise der Erfüllung der zusätzlichen Anforderungen ist der zuständigen nationalen Behörde bei Antragstellung zum Genehmigungserhalt schriftlich darzulegen.
Die ESMA hat dazu in ihrem Final Report am 15.12.2022 Leitlinien zu Standardformularen, Standardformaten und Mustertexten für die Antragstellung zum Genehmigungserhalt durch die Aufsichtsbehörden veröffentlicht. Der Antrag für den Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur kann sowohl von etablierten Playern, wie auch von neuen Marktteilnehmer:innen gestellt werden. Ferner hat die ESMA zuletzt am 3. Februar die neuesten Q&As zur korrekten Anwendung von CSDR, MiFID II und MiFIR Anforderungen im Rahmen des DLT-Pilot Regimes veröffentlicht.
Bewertung: Goldene Zukunft für den digitalen Finanz- und Kapitalmarkt?
Die Strukturen des digitalen Kapitalmarkts befinden sich im Aufbau, bei DLT-Marktinfrastrukturen ist kein Zentralverwahrer mehr erforderlich und smarte Finanzinstrumente sind programmierbare Assets, die auf einer Blockchain begeben und dezentral gehandelt werden, wodurch sie sich über den Zyklus des Finanzinstruments auch selbst administrieren können - Smart Contracts.
Die Desintermediation dieser smarten Finanzinstrumente, welche über DLT-Marktinfrastrukturen begeben und gehandelt werden, bietet das Potential der Effizienz, der Kostenersparnis, der Beschleunigung und des vereinfachten Marktzugangs für neue Player:innen. Durch Reduktion der beteiligten Intermediäre wird das Geschäft effizienter und günstiger, die Möglichkeit des Echtzeitabschlusses der kombinierten Marktinfrastrukturen verschnellert es und der erleichterte Marktzugang schafft Anreize für neue digitalaffine Akteure am Finanzmarkt Fuß zu fassen und für traditionelle (analoge) Akteure auch digitale Handels- und Abrechnungssysteme anzubieten.
Den innovativen Charakter und die Chancen dieses DLT-Testflugs in den digitalen Kapitalmarkt unterstreicht auch Mairead McGuinness (EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion) mit dem folgenden Statement: “[The DLT-Pilot Regime] will soon enable market players to safely experiment with issuing, trading and settling shares and bonds using blockchain technology. This kind of learning-by-doing approach is quite new for the European Union – a sign that we too are innovating. It might lead to more far-reaching changes to our legislation, depending on the lessons we learn from the pilot."
Nicht zuletzt sind die mit dem DLT-Pilot Regime verbundenen Neuerungen relevant für Banken und Asset Servicing Anbieter sowie Asset Manager, um unter anderem ihre Produktpalette auszuweiten und in der neu regulierten Markinfrastruktur von der Effizienz der Technologie zu profitieren. Ebenso bietet sich für Startups und FinTechs die Option eines vereinfachten Marktzugangs, sodass eine breite Branchenrelevanz existiert. Es wird mit dem DLT-Pilot Regime zukünftig möglich sein, DLT-basierte Use Cases in einem sicheren regulatorischen Umfeld und mithilfe des EU-Passportings über Landesgrenzen hinweg europaweit umzusetzen.
Um von dem DLT-Pilot Regime als goldene Zukunft des digitalen Finanz- und Kapitalmarkts zu sprechen, erfordert es aber neben seriösen Akteur:innen digitaler Marktinfrastrukturen mit Fokus auf Interessen der Anleger:innen an Sicherheit und kostengünstiger Abwicklung, ebenso liberale Aufsichtsbehörden mit geringen Hürden bei der Genehmigungserteilung.
Nicht zu unterschätzen sind daneben jedoch auch die Schwierigkeiten in der Umsetzung, die sich aus verschiedenen Gründen ergeben können. Zum einen sind die summenmäßig eingeschränkten Anwendungsbereiche Indikator dafür, dass insbesondere für größere Marktteilnehmer:innen am Kapitalmarkt die Praktikabilität des Regimes in Frage steht, was durch ein Mehr an Flexibilität hätte vermieden werden können.
Die Regulatory Sandbox als Instrument muss sich nach Ablauf ihrer Geltungsdauer außerhalb der Testumgebung bewähren. So bietet sich das Potential innerhalb der Regulatory Sandbox und ihrer Geltungsperiode ein Ökosystem mit integrierten Plattformen und einem technologisierten Kapitalmarkt zu schaffen, doch gleichzeitig im Umkehrschluss auch die Gefahr, dass nach Ende der Geltungsdauer des Regimes umso höhere regulatorische Anforderungen und Beschränkungen entstehen, um auch außerhalb der Sandbox am Markt einen ordnungsgemäßen Betrieb und die Sicherheit der Marktteilnehmer:innen zu erreichen. Das gesamte Marktumfeld sollte sich evolutionär auf diese neuen Strukturen zu bewegen, um einen fragmentierten Markt nach Ende der Regulatory Sandbox zu vermeiden.
Alternativ wäre es auch möglich gewesen, die bestehende Kapitalmarktregulatorik ohne eine übergangsweise Testphase im Sinne einer Sandbox anzupassen, um schneller auf technologische Marktentwicklungen reagieren zu können.
Durch die zentralen Wettbewerbsaspekte Dezentralität und Programmierbarkeit der Assets, die mit dem DLT-Pilot Regime Eingang in die Kapitalmarktinfrastruktur finden, ist das DLT-Pilot Regime dennoch im Ergebnis ein Treiber und Meilenstein hin zu der digitalen Transformation des europäischen Finanz- und Kapitalmarkts.