"If we put our policies in the right order, we have a sustainable society without lowering but even increasing our levels of wellbeing." Franz Timmermans, EU-Kommissar für Klimaschutz und Vizepräsident der EU-Kommission, betonte bereits 2019 die Bedeutung der richtigen Reihenfolge bei der Einführung politischer Maßnahmen zum Klimaschutz.
Ein Satz, der für europäische Anlageberater:innen und Vermögensverwalter:innen in Anbetracht der am 2. August in Kraft getretenen neuen Richtlinie zur verpflichtenden Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung nahezu ironisch klingen dürfte. Der Grund: die ökologische Nachhaltigkeit ist bisher nicht vollständig durch die EU-Taxonomie-Verordnung definiert. Und: die technischen Regulierungsstandards zur EU-Offenlegungsverordnung treten erst im Januar 2023 in Kraft.
Ein Rückblick
Im März 2018 beschloss die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket, um die Etablierung eines nachhaltigen Finanzsystems sicherzustellen. Denn das Finanzsystem spielt eine zentrale Rolle, um die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbemühungen zu unterstützen und die Lenkung von Kapitalflüssen in nachhaltige Investitionen zu mobilisieren.
Im Rahmen des EU-Aktionsplans wurde als zentraler Schritt mit der EU-Taxonomie-Verordnung (VO (EU) 2020/852) ein Klassifizierungsschema eingeführt, um ein Rahmenwerk in Form einer neuen Richtlinie mit konkreten Kriterien und Maßstäben für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu etablieren. Darüber hinaus wurden die Berichterstattungspflichten zu nachhaltigen Investitionen im Rahmen der sogenannten EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), VO (EU) 2019/2088) beschlossen.
Gleichzeitig wurde die europäische Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 zur Finanzmarktrichtlinie MiFID II (DelVO MiFID II) angepasst. Das Ziel: Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung zu berücksichtigen. Diese Anforderungen der neuen Delegierten Verordnung (EU) 2021/1253 sind am 2. August 2022 in Kraft getreten.
Seit dem 2. August müssen alle Finanzberater:innen (mit Ausnahme der Finanzanlagenvermittler:innen mit Erlaubnis nach § 34f Gewerbeordnung (GewO) und Honorar_Finanzanlagenberater:innen nach § 34h GewO) zwingend die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kund:innen im Rahmen der Anlageberatung und Vermögensverwaltung abfragen und sie im Rahmen der Geeignetheitsprüfung berücksichtigen. Die Konsequenz: Das magische Dreieck der Geldanlage von Ertrag, Sicherheit und Liquidität wird um die Dimension Nachhaltigkeit erweitert.
Eine kleine Ergänzung?
Was zunächst als eine „kleine“ Ergänzung erscheint, bereitet Anlageberater:innen und Vermögensverwalter:innen jedoch Kopfzerbrechen. Der Grund: Hinter den erforderlichen Zusatzschritten im WpHG-Bogen steckt mit der MiFID II, SFDR & EU-Taxonomie ein komplexes und zum jetzigen Zeitpunkt unvollendetes und teilweise nicht aufeinander abgestimmtes regulatorisches Regelwerk.
Wollen Kund:innen Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigen, sollen geeignete Finanzinstrumente für die Kapitalanlage identifiziert werden. Bereits heute werden zahlreiche Finanzprodukte mit unterschiedlichen Ambitionen zum Nachhaltigkeitsanspruch angeboten. Deshalb müssen die nachhaltigen Anlegerpräferenzen bestmöglich identifiziert werden, um die geeigneten Produkte auszuwählen.
Für europäische Privatkund:innen bzw. potenzielle Kund:innen muss nach der Geeignetheitsprüfung in einer sogenannten Geeignetheitserklärung nunmehr begründet werden, warum das empfohlene Finanzprodukt den jeweiligen Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht, sofern zuvor Interesse an nachhaltigen Produkten erklärt wurde (Art. 54 Abs. 12 DelVO MiFID II).
Die von der Delegierten Verordnung (EU) 2021/1253 vorgesehenen Ergänzungen können über einen mehrstufigen Prozess abgefragt werden, um eine fundierte Entscheidung der Kund:innen zu ermöglichen:
Schritt I: Es wird geklärt, ob die Kund:innen Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen der Anlageberatung berücksichtigen möchten (Art. 54 Abs. 2 lit. a), 5 i.V.m. Art. 2 Nr. 7DelVO MiFID II. Ist das nicht der Fall kann das gesamte Produktspektrum angeboten werden, ohne konkrete Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen.
Schritt II: Kund:innen möchten Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigen. Das Ergebnis: Sog. qualifizierte Finanzprodukte müssen angeboten werden, die sich in die nachfolgenden drei Produktgruppen unterteilen lassen:
Gruppe 1: Umwelt-Fokus – Finanzprodukte, bei denen Kund:innen bestimmen, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der EU-Taxonomie-Verordnung angelegt wird. Dazu muss eine Investition mindestens eines der sechs Umweltziele der EU-Taxonomie-VO fördern, ohne die übrigen fünf erheblich zu beinträchtigen.
Gruppe 2: ESG-Fokus – Finanzprodukte, bei denen Kund:innen bestimmen, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nr. 17 der EU-Offenlegungsverordnung angelegt wird. Die EU-Offenlegungsverordnung wird hier gewissermaßen als Ergänzung zur Taxonomie aufgeführt, um auch die Ziele soziale Gerechtigkeit und Good-Governance mit zu berücksichtigen, da die EU-Taxonomie bisher nur für den Bereich Ökologie existiert.
Gruppe 3: Auswirkungs-Fokus – Finanzprodukte, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (Principal Adverse Impacts, PAIs) auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden. Diese werden durch die technischen Regulierungsstandards (RTS) der EU-Offenlegungsverordnung definiert.
Schritt III: Abschließend können die Kund:innen festlegen, welcher Mindestanteil ihrer Anlage in Produkte der Gruppe 1 bzw. 2 fließen soll. Auch möglich: Mischungen zwischen den Gruppen. Bei Produkten der Gruppe III können Kund:innen entscheiden, welche wichtigsten nachteiligen Auswirkungen nach welchen Kriterien berücksichtigt werden sollen.
Komplizierter als gedacht
Die drei Schritte der Präferenzabfrage erscheinen zunächst simpel. Schwierig wird es beim darauffolgenden Produktangebot. Der Grund: Entspricht ein Finanzprodukt nicht den angegebenen Nachhaltigkeitspräferenzen der Anlegenden, darf es Kund:innen nicht empfohlen bzw. für sie gehandelt werden – zumindest nicht als Finanzinstrument, das den individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht (Art. 54 Abs. 10 DelVO MiFID II[1]. Das ist insbesondere für die Produktgruppen I & II jedoch nicht trivial.
Das Problem: Es mangelt an granularen Nachhaltigkeitsdaten und die derzeitige Nachhaltigkeitsregulierung ist unvollständig und teilweise nicht aufeinander abgestimmt. Die technischen Regulierungsstandards (RTS) zur EU-Offenlegungsverordnung treten erst am 1. Januar 2023 in Kraft. Diese geben unter anderem an, welche Angaben von Kapitalverwaltungsgesellschaften zu nachhaltigen Finanzprodukten auf ihrer Homepage zu veröffentlichen sind oder welche Inhalte in den vorvertraglichen Informationen berücksichtigt werden müssen.
Ziemlich knifflig: die RTS sind noch nicht in Kraft, was zu Haftungsrisiken für die Anlageberatung und Vermögensverwaltung führen kann. Das liegt beispielsweise daran, dass die nachhaltigen Produktmerkmale, die nach MiFID II im August umgesetzt werden müssen, sich erst ab 01. Januar 2023 im Verkaufsprospekt wiederfinden.
Zudem ist eine Klassifizierung vieler Wirtschaftsaktivitäten noch nicht final möglich, da zum jetzigen Stand lediglich für zwei der sechs Umweltziele technische Bewertungskriterien vorliegen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass das Angebot für die Produktgruppen I & II derzeit eher gering ausfällt. Hinzu kommt, dass ab dem 22. November 2022 Nachhaltigkeitsaspekte nicht nur im Vertrieb, sondern im gesamten Lebenszyklus eines Finanzprodukts, also der Product Governance, berücksichtigt werden müssen (vgl. Anpassung der Del. RL (EU) 2017/593 durch Del. RL (EU) 2021/1269).
Eine echte Challenge
Die Einführung der verpflichtenden Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen und Berücksichtigung bei der Produktauswahl im Rahmen der Anlageberatung und Vermögensverwaltung wurde durch die Finanzindustrie durchaus positiv aufgenommen. Allerdings stellte die Implementierung der seit dem 2. August 2022 geltenden Anforderungen die europäischen Finanzinstitute vor erhebliche Herausforderungen.
Dies liegt insbesondere an einer unvollständigen, komplexen und teilweise nicht aufeinander abgestimmten Regulierungslandschaft und dem Mangel an granularen Nachhaltigkeitsdaten. Hierdurch wird das Erreichen des angestrebten Ziels der Förderung nachhaltiger Investments erschwert. Die mitunter schwer nachvollziehbaren Anforderungen können bei Endkund:innen zu einer gewissen Verunsicherung im Hinblick auf nachhaltige Investments führen.
Unterschiedliche Finanzverbände haben eine Vielzahl von nützlichen Umsetzungshilfen und Informationsdokumenten erarbeitet, die die Implementierung der neuen Vorgaben durch die Finanzinstitute erleichtert haben. Zudem sollen sie es Vertriebsmitarbeitenden ermöglichen, die komplexen neuen Vorgaben Endkund:innen besser vermitteln zu können.
Die zukünftige Förderung von nachhaltigen Investments ist maßgeblich von einer koordinierten und vollständigen Regulierungslandschaft abhängig. Andererseits gilt es die Vertriebsmitarbeitenden im Bereich nachhaltiger Investments gezielt weiterzubilden, um die erforderliche Wissensvermittlung auf der Kund:innenseite sicherzustellen.