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Trend Check: Der Weg zu grünem Wasserstoff

Ist grüner Wasserstoff die Lösung auf unser Energieproblem? Der aktuelle mediale Hype lässt das vermuten. Wie die konkrete Nutzung und der Transport aussehen wird, ist jedoch noch völlig unklar. Wir haben uns fünf Energieexperten von Exxeta geschnappt und gefragt, welche Chancen sie in dem Gas sehen. Zwei Begriffe, die dabei immer wieder fallen: Transport und Markt. 

Kickstart für den Markt 

Wasserstoff ist nach meiner Überzeugung einer der Schlüssel für eine nachhaltige Energietransformation. Ziel muss es sein, ihn aus Erneuerbaren Energien zu gewinnen. Davon werden wir schon in wenigen Jahrzehnten in guten Phasen gewaltige Überschüsse produzieren. Diese Reserve müssen wir für Windflauten und sonnenarme Tage speichern, und das geht mit H2. 

Für dieses Zukunftsszenario brauchen wir heute allerdings eine realistische Basis. Das heißt, wir müssen uns von der Idee verabschieden, von Anfang an ausschließlich grünen Wasserstoff zu nutzen. Die Mengen reichen schlicht nicht, damit sich ein Markt entwickeln kann. Für eine Übergangszeit sollten wir Wasserstoff also mindestens auch aus Erdgas gewinnen. Aus Gesprächen mit Ingenieuren weiß ich, dass wir im Zwischenschritt sogar unsere eigene Kohle nutzen könnten, ohne die entstehenden Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Dazu wären die Anlagen, in denen der Wasserstoff entsteht, mit CCS zu koppeln. Das CO2 würde also in Porengestein tief unter der Erdoberfläche gepresst.  

Ich sehe derzeit wenig politischen Willen, die Bevölkerung von solchen Brückentechnologien zu überzeugen. Leider hört Deutschland zu wenig auf seine Experten und stellt zu oft politische Profilierung über wirtschaftlichen Sachverstand. Trotzdem bleibe ich optimistisch, dass wir uns mithilfe von Wasserstoff in Kombination mit Strom aus erneuerbaren Quellen aus dem fossilen Zeitalter verabschieden werden. 

Peter Heine  

Etablierte Strukturen nutzen und verbessern 

Der Markt für Wasserstoff ist noch jung und kann sich in mehrere Richtungen entwickeln. Man kann sich das vorstellen wie bei einem frisch gepflanzten Apfelbaum: Der Gärtner muss erst einmal viel gießen und Unkraut jäten. Außerdem muss er wissen, wie der Baum wachsen soll und wie er ihn so beschneidet, dass er Früchte trägt. Sprich: Die Politik muss den Wasserstoffmarkt richtig fördern und regulieren. Als Vorbild sollte der Erdgasmarkt dienen. Wir haben hier die Chance, Dinge, die sich bewährt haben zu übernehmen.

Gleichzeitig können wir Aspekte, die der Erfahrung nach hinderlich sind, weglassen. Bei Erdgas haben wir Erzeuger und Abnehmer, die sich um den Vertrieb kümmern, viele Endverbraucher und jede Menge Wettbewerb. „Etablierte Strukturen nutzen und verbessern“ lautet die Devise. So sehen das außer uns auch die Energieversorger.  

Andere Akteure schlagen vor, es bei lokalen Strukturen zu belassen. Dazu zählen vor allem Hersteller technischer Gase. Sie wollen Industrieunternehmen mit Elektrolyseanlagen ausstatten, um die Maschinen mit Energie aus Wasserstoff zu betreiben. Das geht heute schon und hat durchaus Vorteile gegenüber Batterien. So genügen etwa wenige Liter Wasserstoff, um einen Roboter wochenlang zu betreiben.  

Das lokale Modell funktioniert aber nicht im großen Stil. Erstens sind Elektrolyseanlagen teuer. Unternehmen sollten also wissen, wie hoch mögliche Zuschüsse ausfallen. Zweitens wären bald gewaltige Mengen quer durchs Land zu transportieren. Und die vielen Laster will niemand auf der Straße haben. Politik und Gesellschaft sollten sich also klar zu Wasserstoffleitungen bekennen. Die Devise muss lauten: machen und nicht reden. Sprich: Voller Fokus darauf, was geht und wie und nicht darauf, was alles nicht geht und wieso.  

Markus Jungmann  

Zwecke bestimmen 

Im Sommer hat Deutschland mit Kanada ein Abkommen über grünen Wasserstoff geschlossen. Damit hat die Regierung zunächst einmal politisch auf den Energiekonflikt mit Russland reagiert. Die Wirtschaft erwartet nun konkrete Schritte, die Investitionen als lohnend und sicher erscheinen lassen. Für 2024 sind Terminals geplant, um den Wasserstoff entgegenzunehmen. Von dort muss er aber auch transportiert werden. Wie das gehen kann – ungewiss.  

Vorher wäre übrigens grundsätzlich zu klären, wozu uns Wasserstoff dienen soll. Wollen wir das Gas in Strom für Haushalte umwandeln? Dann müssten Verstromungsanlagen geplant werden. Wollen wir eine große Zahl von Fahrzeugen mit H2 betreiben? Dann müßte ein Plan zum Aufbau eines flächendeckenderen Tankstellennetzes erstellt werden. Zurzeit verfügt ganz Deutschland über 92 Tankstellen. Oder wollen wir H2 dem Erdgas beimischen und damit heizen? Dann wäre der Spielraum recht schnell ausgereizt: Gase lassen sich nur begrenzt mischen.

Schon heute könnte Wasserstoff eine Lösung sein, unsere erneuerbaren  Energien effektiver zu nutzen. Bisher werden bei starker Überlast Windräder abgeschaltet, wenn der Wind sehr heftig weht. Klingt absurd, muss aber sein, um die Netze vor Überlastung zu schützen. Eine Wasserstoffanlage nebenan könnte diese Überschüsse auffangen. Auch dafür brauchen Unternehmen Investitionssicherheit.  

Andreas Kamper  

Importe im europäischen Maßstab  

Wasserstoff hat das Zeug, ein gesamteuropäisches Entwicklungsprojekt zu werden. Und zwar so: In Nord- und Mitteleuropa steigt der Bedarf klimaneutraler Energie. Bis ein Land wie Deutschland aber selbst nennenswerte Mengen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien erzeugen kann, vergehen gut und gerne zwei Jahrzehnte. Denn jedes Windrad ruft Initiativen auf den Plan, wodurch sich der langwierige Ausbau weiterzieht.

Und zu einem Solar-Hotspot wird Deutschland auch dann nicht, wenn die Sonne wie im Sommer 2022 nur so vom Himmel knallt. Anders in Südeuropa oder Nordafrika. Dort gibt es extrem dünn besiedelte Gegenden mit mehr direkter Lichteinstrahlung als im nördlichen Teil Europas. Spanien und andere haben das bereits erkannt und sich schon früh zu nationalen Wasserstoffstrategien bekannt.  

Perspektivisch nützt das den Südeuropäern als Erzeugern genauso wie uns als Verbrauchern – und übrigens auch der Umwelt. Denn der grüne Wasserstoff, den Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck in Kanada „bestellt“ haben, muss gewandelt, verflüssigt und gekühlt per Schiff – vermutlich in Form von Ammoniak - transportiert werden. Die Voraussetzungen für ein europäisches Wasserstoffprojekt wären freilich noch zu schaffen. Es braucht Transportkapazitäten und einen funktionierenden Markt mit einem eindeutigen Preismodell.  

Stefan Poslowsky 

Kommerzielle Fragen jetzt klären 

Ein Vorteil von Wasserstoff besteht darin, dass er dezentral erzeugt wird. Anders als Erdgas oder Öl handelt es sich nicht um einen Bodenschatz, der uns abhängig von autokratischen Herrschern macht. Ein Nachteil ist die niedrige Effizienz bei der Herstellung. Vereinfacht gesagt muss man fünf Kilowattstunden einsetzen, um eine zu gewinnen. Wenn ich beide Faktoren zusammen denke, empfiehlt sich Wasserstoff eher als Speichermedium. Im großen Maßstab sehe ich deshalb beispielsweise keine wasserstoffgetriebenen Fahrzeugflotten.  

Mindestens genauso wichtig ist es, ein Marktmodell zu diskutieren und einen Rahmen für die Förderung zu stecken. Es muss klar werden, auf welche Weise Wasserstoff zwischen Anbietern und Abnehmern gehandelt und abgerechnet soll und welche Rolle der Staat spielt. Als Unternehmer würde ich derzeit doch lieber auf Flüssiggas setzen, wenn ich weniger abhängig von Erdgaslieferungen aus Russland werden will. Da weiß ich, was ich bezahlen muss, und kann meine eigene Produktion einigermaßen planen. 

Mein Fazit: Regierung, Bundesnetzagentur und Unternehmen sind gefordert, gemeinsam die Voraussetzungen für den breiten Markteintritt von Wasserstoff zu schaffen. Dabei kann es – anders als bisher – nicht mehr ausschließlich um die technischen Aspekte gehen. Es gilt parallel eine Fülle kommerzieller Fragen zu beantworten. Bei der Entwicklung eines Marktmodells wirkt Exxeta gerne mit.  

Sascha Gering

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